„Schmerz verflüchtige dich, im Namen Jesu“

Biblische Glaubens-Gemeinde feiert Mega-Gottesdienste

„Bekannt sind wir durch spektakuläre Großveranstaltungen“, sagt Jens Wätjen, der ehrenamtlich für die Biblische Glaubens-Gemeinde Stuttgart (BGG) die Medien betreut. Deshalb weist er den Begriff „Mega-Church“ für die charismatische Gemeinde im vorbereitenden Cafeteria-Gespräch auch nicht zurück. Doch das Erlebnis von Gemeinschaft im Kleinen ist ihm genauso wichtig. Der Media-Berater eines privaten Rundfunksenders in Stuttgart wirkt in vielerlei Hinsicht typisch für seine Gemeinde: beruflich erfolgreich, mittleres Alter, verheiratet, vier Kinder, modern und unauffällig im Auftreten – und offen für Wunder und Prophetie.

Stadtbahn-Haltestelle Sieglestraße, mitten im Gewerbegebiet im Stuttgarter Westen. Es ist keine Gegend, in der man eine Kirche vermutet. Graue Fassaden, Bürofenster an Bürofenster und Baustellen bestimmen das Bild. Ein Lagerhaus mit einem Anstrich in Blau und Orange ist schon Farbtupfer. Doch wenige Schritte von hier ist das Gospel-Forum, in dem die Biblische Glaubens-Gemeinde ihre „Celebrations“ veranstaltet. Plakate an den Litfaßsäulen in der Innenstadt laden ein. In Straßeneinsätzen auf der Königsstraße, Stuttgarts Konsum-Meile, wirbt die „Gospel-Youth“.

Mit Pastor Peter Wenz kam der Erfolg

Paula Gasssner, damals die einzige Frau in der Gemeindeleitung im Südwesten Deutschlands, hatte 1937 die „Stuttgarter Gebetskreise des vollen Heils“ gegründet. Der Verein „Biblische Glaubens-Gemeinde“ bildet sich unter ihrer Leitung 1955. Der Erfolg kommt 1984 drei Jahre nach dem Tod von Paula Gassner mit Pastor Peter Wenz. Die Gemeinde wächst. Es müssen öffentliche Hallen gemietet werden, zum Beispiel im SI-Centrum, Stuttgarts Musical-Palast. Vorläufiger Höhepunkt ist 2001 die Eröffnung des Gospel-Forums. Nun kommen sonntags bis zu 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an zwei Celebration-Gottesdiensten.

Mitte März konnte Peter Wenz einen Freund der Gemeinde im Gottesdienst begrüßen: den Evangelisten Reinhard Bonnke. Der „Mann des Glaubens“ hatte der Gemeinde vor 23 Jahren ein großes Wachstum vorausgesagt. Damals saßen gerade 80 Menschen in einem Gottesdienst der Biblischen Glaubens-Gemeinde im Stuttgarter Osten. So kann der 68-Jährige bei seinem Besuch davon reden, dass er heute „von Erfüllung zu Erfüllung“ geht.

Bei der Gemeinde sucht er Unterstützung für seine Afrika-Mission. „Solange ich Odem habe, will ich dem Teufel ein blaues Auge schlagen, preiset den Herrn“, ruft er der Versammlung entgegen. „Mähdrescher Gottes“ und „schreiender Löwe Afrikas“ nannten ihn die Medien. So tritt er auch im Gospel-Forum auf. Er durchschreitet die Bühne, ruft, mahnt und säuselt, denn „Jesus ist der Retter“. Und er hält sich zugute allein seit dem Jahrtausendwechsel „55 Millionen Afrikaner zum Glauben“ geführt zu haben.

Frühlingsmarkt im Gospel-Forum

Eine Stunde vor der ersten Morgen-Celebration am Palmsonntag im Gospel-Forum, im Ohr schon das Schlagzeug der sich einspielenden Band aus dem Saal. Die Therapiegruppe „Wege zur Freiheit“ präsentiert sich im Foyer. Noch montieren die Männer Fotos vom Holzhacken, den Waldeinsätzen, der Schreinerei und der Freizeit an große Balken. Sie tragen Blumentöpfe, Kästchen und Gestecke mit Narzissen, Tulpen und Stiefmütterchen zum Verkauf herein.

Die Sozialeinrichtung sieht sich als Therapiestelle für drogen- -und alkoholabhängige Männer „mit der Bereitschaft sich auf den christlichen Glauben einzulassen“. Es ist Frühlingsmarkt im Gospel-Forum und die Szene könnte in jedem beliebigen Gemeindehaus ähnlich aussehen. Nur das alles ein wenig größer ist. Rund 10.000 Quadratmeter Fläche hat das Gebäude insgesamt, mehr als ein Fußballplatz.

Gegenüber vom Frühlingsmarkt ist der Bücher- und Medienstand platziert. Eine Sonderkasse verkauft die Audio-CDs mit den Predigten der vergangenen Wochen. Doch auf dem Büchertisch findet sich ein breites Angebot. Bücher amerikanischer Starprediger und Gemeindeleiter wie Bill Hybels sind darunter. Der leitende Pastor der Willow-Creek-Gemeinde zählt bis zu 20.000 Menschen im Gottesdienst seiner „Mega-Church“.

Die auflagenstärksten Bücher deutschsprachiger Christen wie Pater Anselm Grün und Peter Hahne fehlen nicht. Eine kleine Gruppe schaut sich interessiert die CDs mit Lobpreisgesang an. Diese Musik steht oben in den Bestsellerlisten des Charisma-Shop – „nicht irgendein Betrieb, sondern als Tochterfirma ein Teil der Arbeit der BGG Stuttgart“, weiß der Geschäftsführer David Müller. Hoch im Kurs stehen auch die Bücher von Kenneth Hagin. Der amerikanische Pfingstler starb 2003 und hinterließ Schriften wie „Heilung durch Gottes Wort“ und „Richtiges und falsches Denken“.

Ein großer Saal für bis zu 4000 Menschen

Jens Wätjen wartet an der Information. Er zeigt auf einen Raum nebenan. Es ist die kleine Turnhalle, die unter anderem der CSV Stuttgart nutzt, ein Sportverein gegründet von Mitgliedern der BGG. „Bis in die Bezirksliga haben sie es schon einmal geschafft“, berichtet er von den Fußballern. Dann geht es ins Treppenhaus. Auf drei Etagen verteilen sich 15 Räume für die Kinderbetreuung während der Gottesdienste. Es sind ehemalige Büroräume des Vorbesitzers. Wätjen  betont, wie wichtig die Betreuung ist: „Bei den ganz kleinen Kindern streben wir einen Schlüssel von eins zu eins an“.

Im 1. Stock zeigt er auf einen entstehenden Anbau. „Oh, die Platte für die Decke ist auch schon gegossen“, sagt er und weist auf den Beton. Die Gemeinde brauche vor allem für Jugendveranstaltungen mittlere Räume für 400 bis 500 Teilnehmer. Mit sichtbarer Genugtuung sagt er: „Vieles machen wir als Eigenleistung, im Mai ist Richtfest.“ Er selbst ist an den Samstagseinsätzen jetzt noch nicht beteiligt. Wenn es an den Innenausbau geht, glaubt er seine Fähigkeiten besser einsetzen zu können.

Der große Saal für 2000 Gottesdienstbesucher ist auf der anderen Seite des Hauses. Ohne Bestuhlung fasst sie bis zu 4000 Menschen. So viele kommen zur Holy-Spirit-Night der BGG-Jugend. Eine Treppe führt zum Übersetzungsdienst und zur Empore. In sechs Kabinen wird ehrenamtlich übersetzt. „Vor kurzem haben wir die Anlage auf zwölf Kanäle erweitert“, erläutert Wätjen. Dienste gibt es zum Beispiel für Englisch, Französisch und Spanisch, aber auch in Thai, Vietnamesisch und Türkisch. Fremdsprachige Gruppen in der BGG können also nicht nur ihren eigenen Gottesdienst, sondern auch die große Celebration verfolgen.

Wer in den Gottesdienstsaal kommt, sieht kein Kreuz, nichts, was an einen Altar erinnert. Es ist eher die Atmosphäre einer Stadthalle. Pastor Peter Wenz hat eine Erklärung dafür: „Es gibt Menschen, die einen Raum mit Kreuz nicht betreten“. Muslime zum Beispiel. Ihnen solle es einfacher gemacht werden.

„Schön, dass du da bist“

Zum neuzeitlichen Gottesdienstraum macht die Musik den Saal. Fünf Musiker und drei Sängerinnen sind es an diesem Sonntag. Schlagzeug, Keyboard, Gitarre und Bass legen die Grundlage für die modernen Lobpreislieder. Fast fremd der Start mit einem neuen Arrangement von „Lobe den Herrn“. Doch dann folgt fast 40 Minuten ein modernes Lobpreislied auf das andere. „Jesus regiert“, „God, He Reigns“, er ist „The Worthy Lamb“. Die Gemeinde folgt stehend den Rhythmen, singt und betet. Die Besucherinnen und Besucher strecken die Hände zum Himmel und erbitten Gottes Segen.

Nur den wenigen Älteren ist anzusehen, dass sie nicht wegen des Lobpreises hier sind. Einige bleiben auf ihren Plätzen sitzen. Dass gut die Hälfte der Texte auf Englisch sind, scheint kein Problem zu sein. Die Texte schießt ein Beamer an die Wand. Ein Gesangbuch gibt es nicht. Das wäre zu unflexibel, meint Jens Wätjen. Die Lieder werden schnell von Gemeinde zu Gemeinde weitergereicht, kommen aus Australien, den USA oder Skandinavien.

Die Lobpreis-Lieder sind der erste Teil der alternativen Liturgie. Es folgen Gebete dafür, dass das Land Jesu Kraft erkennen möge, für die Evangelisation von ProChrist und auch für die Regierenden. Zum Standard gehört die Aufforderung danach: „Begrüßen Sie Ihren Nachbarn – schön, dass du da bist!“.

Etwa 20 Männer mit Betreuerinnen und Betreuern im T-Shirt der „Wege zur Freiheit“ betreten die Bühne. Marc, ein junger schlanker Mann um die 20, nimmt das Mikrofon, berichtet und legt Zeugnis ab. „Ich habe Gott schon richtig erlebt“, beschreibt er seinen Weg zur BGG-Therapie. „Drogenabhängig, gelogen und betrogen, alles, was dazu gehört“, erinnert er sich inzwischen mit sichtbarer Distanz. Er redet manchmal in komplizierten Sätzen, wird deshalb angehalten, auf den Punkt zu kommen.

Sektenbeauftragter sieht „erheblichen Anpassungsdruck“

Geklammert habe er sich trotz allem an Freundin, Wohnung und Job. Doch Gott habe ihm ein Zeichen gegeben, alles aufzugeben. Als auch die letzte Sicherheit weg war, stieg er in die Therapie bei „Wege zur Freiheit“ ein. Nun weiß er, „dass Jesus frei machen kann“. Daniel kommt schneller auf den Punkt. Er kann nun sagen: „Gottes Gnade war so groß, dass ich auf dem Weg geblieben bin“. Die Gemeinde ist stolz und applaudiert jenen Männern, die auch das Evangelium verkünden sollen.

Die jungen Männer stehen vor einer Gemeinde, in der adrett und locker gekleidete junge Familien dominieren. „Dieser Glaube bringt mich vorwärts“, raunt Jens Wätjen während des Gottesdienstes und weiß, dass der Nutzen eine wichtige Sache für die Gemeindeglieder ist. Viele BGG-Gründungen unterstützen das: eine Kindertagesstätte, die Pfadfinder der Royal Rangers, eine Musikschule und eine Elternvereinigung. Internes Kraftzentrum sind aber die Hauskirchen, in denen jeweils ungefähr acht bis 20 Mitglieder zusammenkommen.

Wahrgenommen wird das auch in der Stadt. Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster dankte für die familiäre Atmosphäre im Gospel-Forum. Dort würde Kinder- und Jugendarbeit groß geschrieben. Kritischer sieht das Dr. Hansjörg Hemminger, Sektenbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Württemberg: „Die Außenseite sind die Celebrations, die Innenseite sind die Hauskreise“. Dort herrsche ein erheblicher Anpassungsdruck.

Prophetisches Reden in der Gemeinde

Heute liegt Peter Wenz ein wichtiger Hinweis auf dem Herzen. Er spricht anders als in seinen Predigten, weniger Stakkato, aber mit nicht weniger Emphase. Eine Prophetie mache die Runde, erklärt er seinen Zuhörern. Der amerikanische Prediger David Wilkerson hat eine „dringende Botschaft“ an die Gläubigen gesandt. Eine erderschütternde Katastrophe stehe unmittelbar bevor, große Städte in den USA würden Unruhen und loderndes Feuer erleben.

Der Gemeinde Gottes empfiehlt Wilkerson, Vorräte für 30 Tage anzulegen. Über seinen Internet-Blog verbreitete sich die Meldung auch in Deutschland und im Gospel-Forum nicken einige wissend. „Prophetisches Reden gehört zur christlichen Gemeinde“, erinnert Wenz die Gläubigen. Doch dies sei zu nebulös. „Und was ist nach den 30 Tagen?“, fragt er. Nein, da empfiehlt er Vorsicht. Aber so kann er seine Gemeinde nicht zurücklassen. Deshalb muss der Satz kommen: „Für jeden Menschen, der mit offenen Augen durch die Welt geht, ist klar, dass die endzeitlichen Geschehnisse zunehmen.“

Die Sprachlosigkeit der Christen ist heute sein Predigtthema. Ein Problem, das ihn nicht befällt. Er zeigt auf den groß auf die Leinwand projizierten Text aus dem Lukas-Evangelium: eine Predigt Jesu in Nazareth. Erfüllt mit der Kraft des Geistes sei Jesus nach Nazareth gekommen. Erfüllt mit den Gaben des Geistes sind für Wenz auch die wahren Christen heute: „Ein Christ ist einer, der angetan ist mit der Kraft aus der Höhe“. Darauf liegt das ganze Gewicht seiner Auslegung.

Zungenreden, Heilungswunder und dämonische Belastungen

Doch das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Ereignisses Peter Wenz. In grauer Hose, weißem Hemd und unauffälliger Krawatte nutzt er mit dem Mikrofon seine Bühne. Hinter dem Pult hält es ihn immer nur kurz. Dem erstaunten Publikum erklärt er, Jesus habe mindestens sieben Halbgeschwister gehabt. Doch darauf wolle er jetzt nicht weiter eingehen. Er geht nach vorne und spricht von Sepp, „das ist doch der Kosename von Josef – was der mitgemacht hat“. Und zwischendrin erzählt er vom Fernsehen, der „quadratischen Oma“, der heute die Kinder anvertraut werden. Der Mann versteht zu unterhalten.

„Die BGG bietet den Besuchern der Celebrations eine in die moderne Welt passende Erlebniskultur“, muss auch Hemminger anerkennen. Die Gemeinde erwecke dabei in der Öffentlichkeit den Eindruck, zum Hauptstrom des Protestantismus zu gehören, nur dass die Gottesdienste moderner und peppiger seien als in anderen Freikirchen. „Zur Gemeinde gehören aber auch Zungenreden, Heilungsveranstaltungen und die Tendenz, alle möglichen Probleme auf dämonische Belastungen zurückzuführen“, so der Fachmann der Landeskirche.

„Gebt einen Applaus für Jesus!“

Für Peter Wenz ist eben dies der Ausweis, wahre Gemeinde Christi zu sein. „Prophetisches Reden gehört zur Gemeinde Gottes“, sagt er und das zustimmende „Halleluja“ und „Amen“ aus der Gemeinde sind ihm sicher. Etwa wenn er in der Predigt sagt: Ich habe heute Morgen ein prophetisches Wort, ich glaube, dass der Bekanntheitsgrad von Jesus in Deutschland enorm zunehmen wird“. Dann ruft er wieder in Saal: „Gebt einen Applaus für Jesus!“.

Doch Peter Wenz wird konkreter, zeigt die Zettel mit Gebetsanliegen, die die Gemeinde bekommen hat. Er und seine Helfer sehen Menschen mit Nierenproblemen und Rückenschmerzen im Saal. Er schließt die Augen und sagt: „Ich sah, dass deine Niere wieder durchblutet wird“. Wissenschaftlich überprüfen lässt sich das nicht, auch wenn sich vermeintlich Geheilte melden. Peter Wenz legt aber alle Energie in seine Stimme, wenn er befiehlt: „Schmerz verflüchtige dich, im Namen Jesu“.

Dabei sagt er im Nachgespräch: „Ermutigen und Trösten ist der Hauptdienst der Gemeinde.“ Das Vertrauen auf Gott dürfe man nicht von der Heilung abhängig machen. Aber auch: „Ein halbseitig gelähmter Mann wurde hier geheilt“. Weltanschauungsbeauftragter Hemminger spricht von der Kehrseite: „Zu unseren Beratungen kommen besonders die, deren Erwartung auf wunderbare Hilfe und Heilung enttäuscht wurden.“

Ralf Thomas Müller

Mai 2009 / Zeitzeichen

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